von Tobias R. Thauer M.A., Personalleiter TVS Weimar
Die Verwendung von Zielvereinbarungen zwischen Arbeitsvertragsparteien sind eine übliche arbeitsvertragliche Praxis, um die Motivation und Anreiz für Arbeitnehmer zu steigern, die unternehmerischen Ziele des Arbeitgebers zu erreichen. Gerade in Führungspositionen sind Zielvereinbarungen ein gängiges Mittel zur Leistungs- und Vergütungssteigerung.
Arbeitsrechtlich interessant wird eine solche Zielvereinbarung unter anderem dann, wenn die Zielvereinbarung nicht oder zu spät spezifiziert wird, d.h. wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien im Laufe des Bemessungszeitraums unklar ist, welche Ziele zu erreichen sind, und welche Vergütung bei welchem Zielerreichungsgrad (Leistung-Entgelt-Relation) ausgeschüttet werden muss. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 19.02.2025 (BAG, Urt. v. 19.02.2025, Az. 10 AZR 57/24) entschieden, dass Beschäftigten unter Umständen Schadenersatzansprüche zustehen, wenn eine Zielvereinbarung nicht oder zu spät konkretisiert wird.
Geklagt hatte in dem Fall ein Beschäftigter, der bis Ende 2019 eine Führungsposition bei der Beklagten innehatte, für die arbeitsvertraglich eine variable Vergütung vereinbart war. Die dieser individuellen Absprache zugrunde liegende kollektivrechtliche Vereinbarung in Form einer Betriebsvereinbarung bestimmte dabei, dass jeweils bis zum 1. März eines Kalenderjahres eine Zielvorgabe für den Beschäftigten zu erfolgen hat, die sich zu 70 Prozent aus den Unternehmenszielen und zu 30 Prozent aus individuellen Zielen zusammensetzt.
Der Beschäftigte erhielt jedoch für das Jahr 2019 nicht entsprechend der Betriebsvereinbarung seine Zielevorgaben bis zum 1. März, sondern erst deutlich später im September 2019. Die Beklagte teilte dem Kläger zu diesem Zeitpunkt zudem lediglich mit, dass sie von einem Zielerreichungsgrad von 142 Prozent für das Jahr ausgehen würde. Erst Mitte Oktober 2019 gab die Beklagte erstmals konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen und deren Gewichtung vor. Für das Jahr 2019 zahlte die Beklagte dem Kläger daraufhin rund 15.500 Euro an variabler Vergütung, gab jedoch keine individuellen Ziele mehr vor.
Der Kläger war mit dieser Vorgehensweise seines Arbeitgebers nicht einverstanden: der Betrieb habe ihm für das Jahr 2019 keinerlei individuelle Ziele, und die Unternehmensziele nur sehr verspätet vorgegeben. Der Kläger forderte daher zusätzlich zu den bereits gezahlten 15.500 Euro noch Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 Euro zu. Nach Auffassung des Klägers hätte er bei rechtzeitiger Bezifferung die Unternehmensziele zu 100 Prozent, und die individuellen Ziele zu 142 Prozent erreicht. Da er jedoch keine Gelegenheit gehabt habe, auf die sehr verspätet mitgeteilten Unternehmensziele und die überhaupt nicht mitgeteilten persönlichen Ziele hinzuarbeiten, sei ihm ein Schaden entstanden. Die Beklagte trat dem Vortrag des Klägers im Wesentlichen damit entgegen, dass die Schadenersatzforderung entgegen der Auffassung des Klägers rechtzeitig mitgeteilt worden wäre, den Billigkeitsgrundsätzen entspräche und im Übrigen auch der Höhe nach unzutreffend wären.
Das BAG sprach dem Kläger den begehrten Schadensersatzanspruch. Der Senat sah eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitsvertrags durch die Beklagte darin, dass der Arbeitgeber die maßgeblichen Unternehmensziele erst kommunizierte, nachdem bereits gut ¾ des Zielzeitraums 2019 verstrichen waren.
„Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich“ so das BAG in seiner Begründung (a.a.O., Rn. 13). Auch eine nachträgliche, gerichtliche Leistungsbestimmung käme dann insoweit nicht mehr in Betracht. Zudem hätte die Beklagte bezüglich der Schadenshöhe keine besonderen Umstände vorgetragen, die eine andere Berechnung des Schadenersatzes begründet hätten.
Praxishinweis: bei der Verwendung von Klauseln zu einer variablen Vergütung im Arbeitsvertrag ist mit Blick auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts die rechtzeitige Vereinbarung von Zielvorgaben und der Leistung-Entgelt-Relation von wesentlicher Bedeutung, um etwaige Schadenersatzansprüche zu vermeiden. Ziele und Vergütungsquoten müssen zudem so rechtzeitig vereinbart werden, dass Beschäftigte realistische Chancen haben, durch eigene Leistungen Ziele zu erreichen.